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DER AMERICANUS COMMUNIS - EINE PERSÖNLICHE BETRACHTUNGSWEISE


Amerika - das Land der unbegrenzten Vorurteile

Amerika. Ein Volk ohne Geschichte und ohne Kultur. Oberflächlich. Übertrieben patriotisch. Fettleibige Menschen, die in Cowboystiefeln herumlaufen, ohne Ende Big Macs verschlingen und deren Kaffee ungenießbar ist.

Ist das denn wirklich wahr? Oder alles nur Klischeedenken? Klar, die amerikanische Kulturgeschichte kann nicht mit der europäischen verglichen werden. Soll sie auch nicht. Und ja, es gibt viele fettleibige Menschen in Amerika, die sich scheinbar ausschließlich von Fastfood und Cola ernähren. Genauso gibt es aber auch das andere Extrem, nämlich die spindeldürren Hungermodels von Hollywood und die blutjungen Schulmädchen, die sich, völlig dem Schönheitswahn von Hollywood verfallen, Brustvergrößerungen und Botox-Spritzungen zum Geburtstag wünschen. Und keine Frage, der Kaffee ist tatsächlich gewöhnungsbedürftig für den traditionellen Kaffeegourmet, der ansonsten europäische Kaffeehäuser frequentiert.

Aber jetzt verrate ich Ihnen etwas: Mit ein wenig Offenheit erkennt man sehr schnell die andere, die liebenswerte Seite der US-Amerikaner. Denn Amerikaner sind meistens gut gelaunt, „easy going“ und „open-minded“.

Das große Abenteuer Amerika

Im Sommer 1978 bin ich im Alter von acht Jahren mit meiner Familie nach Amerika gezogen - ein großes Abenteuer für mich und meine beiden jüngeren Schwestern, vor allem aber auch eine unermessliche Bereicherung, von der ich heute noch profitiere. Denn ich habe gelernt, Menschen in ihrer Vielfalt wahrzunehmen, das Positive zu erkennen und nicht krampfhaft an alten Gewohnheiten festzuhalten und damit alles Neue vehement abzulehnen.

Mir war damals bewusst, dass ich eine neue Sprache lernen sollte, um ab Herbst problemlos die Schule meistern zu können, aber keiner hat mich darauf vorbereitet, dass uns Österreicher nicht nur die Sprache von den Amerikanern unterscheidet. Teilweise verwundert, teilweise irritiert habe ich in den folgenden Monaten zur Kenntnis genommen, dass in meiner neuen Heimat ein paar Dinge ganz einfach anders laufen.

Welcome to America!

Einen ersten Eindruck von der Andersartigkeit der Amerikaner bekamen wir bereits während des Flugs in das ferne Land. Mein Vater war bereits ein paar Wochen zuvor eingereist und so bestand unsere kleine Reisegruppe aus meiner Mutter, meinen beiden Schwestern, unserem Cockerspaniel Lady und mir. Zwischenlandung New York: Erleichtert begrüßten wir unsere Lady auf dem Gepäcksband nach der Langstrecke, die sie gezwungenermaßen im Gepäcksraum des Fliegers verbracht hatte, und befreiten sie aus ihrem Transportkäfig. Den Käfig gaben wir dem Flughafenpersonal zur Aufbewahrung, um mit Lady eine Runde zu drehen. Als wir pünktlich zum Weiterflug zurückkehrten, war unser großer und einigermaßen komfortabler Transportkäfig verschwunden und uns wurde stattdessen ein Vogelkäfig angeboten. Lange Rede, kurzer Sinn: Meine Mutter verweigerte Ladys Weitertransport im Minikäfig und bestand darauf, dass irgendwo ein passender Käfig aufgetrieben würde. Das Flughafenpersonal lief hektisch herum, versorgte uns Kinder mit Süßigkeiten und Lady mit Hundeleckerlis und verschob tatsächlich den Abflug unserer Maschine. Unsere Mitreisenden, die bereits an Bord gegangen waren, wurden darüber informiert, dass sich der Flug aufgrund einer einwandernden österreichischen Familie verzögere, und die Geschichte um Ladys fehlenden Käfig machte in allen Einzelheiten die Runde. Endlich wurde ein Käfig geliefert, Lady wurde sicher verstaut und wir wurden zum Flugzeug begleitet, in dem alle Passagiere bereits seit einer geschlagenen Stunde warteten. Was nun folgte, ist für uns Europäer wohl unbegreiflich, auch wenn ich das damals noch nicht so verstanden habe: nicht ein mürrischer Blick, nicht ein böses Wort. Stattdessen gab es Applaus, als wir die Maschine betraten. Fremde Menschen erkundigten sich nach Lady und hießen uns in Amerika willkommen. Dieses Verständnis und dieser Großmut sind Eigenschaften, die wir in ähnlicher Situation bei einem innereuropäischen Flug niemals erlebt hätten – davon bin ich überzeugt.

Ein weiteres Schlüsselerlebnis hatte ich in der ersten oder zweiten Woche nach unserer Ankunft in Amerika. Wir hatten bis dahin noch keine Zeit gefunden, unsere neuen Nachbarn kennenzulernen, hatten uns nur das eine oder andere Mal neugierig aus der Ferne zugewinkt. Ich stand gerade in der Küche und war damit beschäftigt, die neu erworbenen Küchenutensilien einzuräumen, als sich plötzlich die Terrassentüre öffnete. Eine fremde Frau stand vor mir und sprach in einer mir noch unbekannten Sprache auf mich ein. Richtig furchteinflößend wirkte sie jedoch nicht, denn sie hatte in der einen Hand einen selbst gebackenen Kuchen und in der anderen eine Packung Orangensaft. „Welcome“ konnte ich aus ihrem Wortschwall raushören, als sie ohne Aufforderung eintrat, Kuchen und Saft auf dem Küchentisch abstellte und laut: „Hi! I’m Jerry, your neighbor!“ in Richtung Treppenaufgang brüllte, wohl in der Hoffnung, meine Mutter würde erscheinen. Auch das ist Amerika.

Leben in einer „American Neighborhood“

Wir wohnten damals in einer typisch amerikanischen „Neighborhood“, in einem der schmucken Vorstadthäuser, deren Garten nahtlos in den Nachbarsgarten übergeht. Denn Zäune gibt es in den meisten Gegenden keine, stattdessen Offenheit, Freiheit. Man befindet sich in einem gastfreundlichen Land und diese Tatsache wird auch durch fehlende Zäune signalisiert.

Wir haben damals viele Briefe an Familie und Freunde in der österreichischen Heimat geschrieben, kuvertiert und ab damit – in den eigenen Briefkasten. Das rote Fähnchen hoch und schon wusste der Briefträger, dass ein Brief zur Abholung bereitliegt. Praktisch, oder?

So empfand ich auch einige Wochen später den Schulbus. Denn es war nicht notwendig, bis zu einer Bushaltestelle zu marschieren. Stattdessen hielt der Bus direkt vor der Haustüre und sammelte die Kinder quasi ein. Ein tolles Service für Schulkinder und deren Eltern.

Die modernen Nomaden

Amerikanern wird sehr oft ihre Oberflächlichkeit vorgehalten. In Wirklichkeit macht ihre Einstellung durchaus Sinn. Amerikaner übersiedeln sehr oft in ihrem Leben – wohlgemerkt innerhalb von Amerika. Jedes Jahr ziehen rund 43 Millionen, knapp 17 Prozent der Gesamtbevölkerung, um. Einen interessanten Artikel dazu findet ihr übrigens hier: Amerikaner sind ein Volk von Nomaden.

Die offene und hilfsbereite Art der Amerikaner ermöglicht ihnen beziehungsweise neuen Nachbarn ein schnelles Einleben. Es dauert nur wenige Tage, bis man mit seiner Nachbarschaft auf du ist und mit Insidertipps versorgt wird.

Bei dieser Lebensweise bietet sich oft keine Gelegenheit, tiefe Freundschaften zu entwickeln. Dafür bleibt man nicht lange genug an einem Ort. So ist es bezeichnend, dass wir nach unserer Rückkehr nach Europa nur mit sehr wenigen Amerikanern über lange Jahre in Kontakt blieben – und dann vermutlich auch nur, weil wir in deren Leben als europäische Exoten einen Sonderstatus angenommen hatten. Eine immer noch andauernde Freundschaft verbindet uns hingegen mit einer Familie aus Südafrika, die zeitgleich mit uns in Amerika lebte und ähnliche Freundschaftsideale pflegt.

Mein persönliches Fazit

Ich mag die Amerikaner. Ich habe von frühester Kindheit an vorurteilsfrei erleben dürfen, wie schnell sie ihre Mitmenschen aufnehmen, wie freundlich und hilfsbereit sie sind, wie wohl man sich in ihrem Umfeld fühlt. Auch wenn die soeben beschriebenen Eindrücke viele Jahre zurückliegen, so haben sich die Wertvorstellungen der Amerikaner in diesen Jahren kaum verändert – das bestätigen mir viele Erlebnisse und US-Begegnungen bis zum heutigen Tage. Wie immer liegt es an einem jeden selbst, das Beste aus neuen Situationen zu machen, das Positive in fremden Kulturen wahrzunehmen und durch neue Begegnungen zu wachsen. Anders ist nicht schlecht. Anders ist immer eine Chance.

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